Der Bundesgerichtshof in Karlruhe hat mit seiner Entscheidung zum Wechselmodell vom 01.02.2017 (Aktenzeichen XII ZB 601/15) Familienrechtsgeschichte geschrieben. Nun können Gerichte auch gegen den Willen eines Elternteils das sog. Wechselmodell festlegen.
Bislang haben die Familiengerichte im „Streit um die Kinder“ einen Elternteil ausgewählt, der die Kinder hauptsächlich betreut, während der andere Elternteil die Kinder alle zwei Wochenenden zum Besuch holen durfte (Residenzmodell). Die Gerichte wollten „eine Woche Mama, eine Woche Papa“ (Wechselmodell) nicht anordnen. Der BGH hat nun klargestellt, dass es kein gesetzliches Leitbild für eine bestimmte Betreuungsform gibt. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen die Gerichte ein Wechselmodell anordnen, die Beratungspraxis in den Kanzleien wird sich ändern.
„Das Wechselmodell ist (…) anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.“ (Randnummer 27)
Die neuen Kriterien für das Wechselmodell sind nach BGH:
- Beide Elternteile müssen erziehungsgeeignet sein und das Kind muss zu beiden Elternteilen eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung haben, was ggf. bei Säuglingen und Kleinkindern schwierig sein kann.
- Ein wesentlicher Aspekt ist der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist.
- Eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen.
- Ein Konsens zwischen den Elternteilen über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell wird ausdrücklich nicht verlangt, es kann also auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden.
- Verlangt wird aber eine entsprechende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Die Kriterien für die Kooperationsfähigkeit sollen sich an der Ausübung der gemeinsamen Sorge orientieren; die dortige Praxis zeigt, dass nicht jeder Dissens bereits zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge führt. Bei hoher elterlicher Konfliktbelastung wird das Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl entsprechen.
Bemerkenswert ist, dass der BGH das Wechselmodell auch bei noch frischer Trennung als Lösungsmöglichkeit betrachtet: Es kann in akuten Trennungssituationen ein Wechselmodell versuchsweise angeordnet werden, um eine für das Kind möglichst wenig belastende Elterntrennung zu ermöglichen und insbesondere bei starker Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen Kontinuität herzustellen, die dem Kind bei der Bewältigung der Elterntrennung helfen kann. (Randnummer 31)
Das Gericht misst übrigens auch Zwischenlösungen zwischen Residenzmodell und Wechselmodell eine Bedeutung bei. (Randnummer 34)
Es gibt zukünftig also keinen Automatismus mehr, dass derjenige „die Kinder bekommt“, der sie in der Vergangenheit zeitlich mehr betreut hat, was meistens die Mutter war. Es kann nun sein, dass bei gleicher Erziehungsgeeignetheit, noch etwas vorhandener Kompromissbereitschaft und entsprechendem Willen des Kindes ein Wechselmodell angeordnet wird. Knackpunkt wird also sein, wie kritisch der Konflikt zwischen den Eltern eingestuft wird. Früh angeordnet könnte das Wechselmodell in einigen Fällen zu einer Entschärfung beitragen. Trotzdem wird das Residenzmodell die häufigste Betreuungsform bleiben.
Die Politik muss nun in anderen Rechtsbereichen gesetzliche Regelungen schaffen, die das Wechselmodell besser berücksichtigen, z.B. im Steuer-, Sozial-, Schul- und im Melderecht. Spannend wird auch die Entwicklung im Unterhaltsrecht sein.
Stuttgart, 27.02.2017
Tobias Zink, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht aus Stuttgart, ist spezialisiert auf Familienrecht und bloggt regelmäßig auf http://www.ehescheidung-stuttgart.de. Auf Twitter schreibt er unter http://twitter.com/FamRZink
Weiterführende Links:
Ausführliche Informationen zum Wechselmodell http://doppelresidenz.org